Richard Vogl vom 26.10.2024 - 26.01.2025

Richard Vogl

 

Zur Eröffnung der Ausstellung in der Galerie im Woferlhof

in Wettzell am 26. Oktober 2024 von Florian Sendtner

 

Sehr geehrte Frau Lerche, lieber Richard Vogl, meine sehr geehrten Damen und Herren!

Wer ist Richard Vogl? Es gibt eine Antwort auf diese Frage aus berufenem Mund, diese Antwort ist aber nur mehr wenigen bekannt, deshalb zitiere ich sie:

 

"Geboren in Furth im Wald, lebt in Bernhardswald: etwas viel Wald, wie man meinen könnte. Aber der Wald ist längst nicht mehr, was er einmal war. Der Baumbestand läßt derart zu wünschen übrig, daß man sich nur mit Mühe verlaufen kann, die Pilze sind von Fall zu Fall verstrahlt, und auf Hexen stößt man, wenn überhaupt, nur ausnahmsweise. Hingegen spielt sich selbst in der kleinsten Hütte das wahre Leben auf dem Bildschirm ab. Eine solche Doppeldeutigkeit beherrscht die Malerei von Richard Vogl. Auf der einen Seite tritt das Landleben, vermeintlich oder echt, an den Tag, auf der anderen verdichten sich die Figuren zu Gerätschaften, zu Offerten aus dem Tele-Shop. Was die einzelnen Personen auf der Leinwand tun und lassen, ist in eine eher komplizierte Fabel eingebunden, über die der Titel eine oftmals trügerische Auskunft gibt: es geht jedoch nicht um Plots oder Erzählstränge, eher als um Fabeln geht es ums Fabulieren."[1]

 

Diese locker-flockigen Sätze über Richard Vogl wurden 1989/90 formuliert, und Sie fragen sich jetzt sicher, warum ich Ihnen mit 35 Jahre alten Geschichten komme. Als ob sich die Welt seitdem nicht verändert hätte, als ob Richard Vogl immer noch der gleiche wäre. Natürlich hat sich alles seit damals gewandelt, und Richard Vogl insbesondere ist ein ganz anderer. Sprich: seine Bilder heute sind gegenüber seinen Bildern von damals kaum wiederzuerkennen.

Doch diese flapsig klingenden Sätze über Richard Vogl stammen von Hans Platschek, und schon ganz allein deshalb kann man sie nach 35 Jahren jederzeit noch zitieren. Falls Sie Hans Platschek nicht kennen, keine Angst. Das liegt nicht nur an Ihnen. Ich habe ihn auch erst durch die großartige Retrospektive zu seinem hundertsten Geburtstag im Neumarkter Lothar-Fischer-Museum von Februar bis Juni diesen Jahres kennengelernt (die Ausstellung mit dem heimeligen Titel "Höllenstürze / Hahnenkämpfe / Nette Abende" war im Jahr zuvor in der Kunsthalle Schweinfurt zu sehen, wo sie zu Hans Platscheks hundertstem Geburtstag im März 2023 eröffnet worden war).

Der gebürtige Berliner Hans Platschek flüchtete als Jude 1937 als Sechzehnjähriger gerade noch rechtzeitig nach Uruguay, wo er anfing, Nazi-Karikaturen zu zeichnen. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland 1953 wird er durch die Münchner Galerie van de Loo als Maler des Informel und später auch als satirischer Naturalist bekannt.

Vor allem aber schreibt Hans Platschek auch, und zwar über Kunst. Meines Wissens schreibt Hans Platschek wenig bis nichts über seine eigene Kunst,[2] aber sehr viel über andere Künstler. Seine Meisterschaft als Kunstkritiker und Kunsttheoretiker ist allseits anerkannt, und nicht zuletzt ist er ein gefürchteter Scharfrichter und begnadeter Polemiker. Und jetzt wissen Sie auch, warum der Name Hans Platschek heute nur wenigen bekannt ist.

Kurzum: es ist schon eine Ehre, wenn man als Künstler von Hans Platschek besprochen wird, selbst wenn man verrissen wird. Aber wenn man sogar gut wegkommt, ja, wenn Hans Platschek über einen Künstler so ausführlich, so eingehend und wohlwollend schreibt wie 1990 über Richard Vogl, dann kann man sich wirklich was drauf einbilden.

Hans Platschek gab offen zu, daß er sich nur mit ausgewählten Künstlern abgab und sich nur über Künstler äußerte, die seines Erachtens über jeden Zweifel erhaben waren. Künstlerisch - und auch sonst:

"Ich mache keine Reklame für Leute, die ich nicht mag [...]"

Die Künstler, über die er schreibe, sagte er, "das sind alles Leute, die ein sehr genaues Gefühl haben [...] für künstlerischen Anstand."[3]

Jetzt sind Sie vermutlich nicht hierhergekommen, um von mir zu erfahren, daß Richard Vogl ein sehr genaues Gefühl für künstlerischen Anstand hat, weil Sie das natürlich wissen oder stillschweigend voraussetzen. Ich finde die Äußerung von Hans Platschek über Richard Vogl deshalb interessant, weil sie eine relativ frühe und meines Erachtens trotzdem auch heute noch recht treffende Beschreibung der künstlerischen Arbeit von Richard Vogl ist.

Oder, anders gesagt: 2004, vor zwanzig Jahren, hat die Bayerische Akademie der Schönen Künste erkannt, daß Richard Vogl ein Hochkaräter unter der Malern ist und ihn zu ihrem ordentlichen Mitglied ernannt. Aber Hans Platschek wußte das schon 15 Jahre vorher; er konnte sich freilich besser ausdrücken als die Akademie.

Wobei der Ausdruck Hochkaräter von Frau Dr. Lerche stammt, die bezeichnet ihren Künstler mit diesem Prädikat. Hochkaräter - damit bin ich bei dem Gemälde "Großer Berg", einem der beiden größten Bilder in dieser Ausstellung (120x150) im Erdgeschoß.

Denn die vier kleinen, saphirblauschillernden Wolken, die auf diesem Bild um den großen braunen Berg herum oder an ihm vorbeiziehen, changieren und schimmern wie Rohdiamanten, wie Hochkaräter eben. Fast von keinem Blickwinkel aus ist ihre ganze Gestalt zu sehen. Ich habe versucht, das Gemälde zu fotografieren, es geht fast nicht, die vier Wolken lassen sich nicht recht einfangen.

Und dann dieses dunkelbraun dräuende Bergmassiv hinter der sanft ansteigenden flächiggrünen Wiese. Unerfindlich, unergründlich, undurchschaubar, unnahbar wie der Fujiyama. Ein Rätsel von einem Berg, ein erratischer Riesenbrocken - die vier blauschillernden Wolken stehen zu ihm auf jeden Fall in einem Verhältnis von funkelnder Ironie.

Oder, um es mit einem rätselhaften Spruch von Herbert Achternbusch zu sagen: "Am Anfang sind die Berge Berge. Dann sind die Berge keine Berge mehr. Dann sind die Berge wieder Berge."[4]

Natürlich handelt es sich von der Gestalt des braunen Berges her eher um eine oberbayerische Szenerie, aber irgendwie drängt sich mir ein japanischer Aspekt auf, auch wenn das natürlich immer der westliche Blick auf Japan ist. Genauer gesagt denke ich beim heiligen Berg Fuji immer nur an den Film "Kirschblüten Hanami" von Doris Dörrie mit Hannelore Elsner und Elmar Wepper von 2008.

Der Fuji ist bekanntlich nur einige Tage im Jahr zu sehen, an den meisten Tagen ist er von Wolken verhüllt. Aber das kann einem in den Alpen genauso passieren. Vor drei Wochen wollte ich mit meiner Freundin in Südtirol auf einen Berg steigen, auf dem wir schon etlichemale oben waren, fast tausend Meter niedriger als der Fuji - und diesmal haben wir den Berg noch nicht mal zu Gesicht gekriegt vor lauter Wolken und Schneetreiben, wir mussten auf halber Höhe wieder umkehren. Wenn man meint, ihn schon gut zu kennen, den Berg, dann lehrt er einem plötzlich wieder Respekt.

Der große Berg von Richard Vogl flößt einem auf jeden Fall Respekt ein, auch im nicht ganz so monumentalen Format, als "Birnberg" (57x70) - das könnte zumindest der gleiche Berg aus etwas anderer Perspektive sein. Die zwei blaßblauen Wolken, die diesmal an ihm vorüberziehen, übersieht man fast. Es könnten aber natürlich auch zwei von den vier funkelnden Hochkaräterwolken sein, Wolken verändern sich ja, so schnell kann man gar nicht schauen.

Der Kontrapunkt zum Berg sind jetzt vier gelbe Früchte rechts im Vordergrund. Das heißt, man weiß es gar nicht, ob das Früchte sind, von anderen Bildern her meint man sie als Früchte zu kennen. Und der Bildtitel, "Birnberg", läßt auf Birnen schließen. Reduziert, minimalisiert, wie ja auch der Berg und das ganze Bild ins Schemenhafte entrückt ist. Vier kontrapunktische und vermutlich organische Entitäten, die dem anorganischen braunen Koloß Paroli bieten.

Aber selbst bei der Unterscheidung organisch - anorganisch kann man sich nicht sicher sein. Die "Früchte" haben seltsamerweise teilweise Ecken und Kanten und wecken damit Assoziationen an Steine. Ausgerechnet Birnen, die weichsten Früchte.[5] Man ist als Betrachter also verunsichert: Amorphe gelbe Entitäten, die nur partiell als Gestalt erkannt werden können. Es könnten Früchte sein, sogar weiche, runde Birnen - aber auch Steine. Diese harmlos wirkenden Dinger haben es in sich, sie tragen einen eklatanten Widerspruch in sich.

Wobei unreife Birnen natürlich auch steinhart sein können. Und damit bin ich, auch auf die Gefahr hin, daß Sie jetzt sagen: Der vergleicht ja Äpfel mit Birnen! - bei Franz Kafka. In Kafkas bekanntester Erzählung, der "Verwandlung", werden nämlich Äpfel als lebensgefährliche Wurfgeschosse benutzt.

Gregor Samsa findet sich eines Morgens zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt. Nach dem ersten Entsetzen richtet sich die Familie irgendwie darauf ein, daß der erwachsene, längst berufstätige Sohn nun ein abstoßender, nichtsnutziger Käfer ist. Solange er sein Zimmer nicht verläßt. Als der Vater eines Tages heimkommt und sieht, daß Gregor aus seinem Zimmer "ausgebrochen" ist, geht er auf ihn los, Gregor weicht unbeholfen zurück -

" - da flog knapp neben ihm, leicht geschleudert, irgendetwas nieder und rollte vor ihm her. Es war ein Apfel; gleich flog ihm ein zweiter nach; Gregor blieb vor Schrecken stehen; ein Weiterlaufen war nutzlos, denn der Vater hatte sich entschlossen, ihn zu bombardieren. Aus der Obstschale auf der Kredenz hatte er sich die Taschen gefüllt und warf nun, ohne vorläufig scharf zu zielen, Apfel für Apfel. Diese kleinen roten Äpfel rollten wie elektrisiert auf dem Boden herum und stießen aneinander. Ein schwach geworfener Apfel streifte Gregors Rücken, glitt aber unschädlich ab. Ein ihm sofort nachfliegender drang dagegen förmlich in Gregors Rücken ein; Gregor wollte sich weiterschleppen, als könne der überraschende unglaubliche Schmerz mit dem Ortswechsel vergehen; doch fühlte er sich wie festgenagelt und streckte sich in vollständiger Verwirrung aller Sinne."[6]

Es artet beinahe zu einer Steinigung aus, nur die herbeigeeilte Mutter, die dem Vater in den Arm fällt, verhindert das schlimmste. Anschließend ist von einer "schweren Verwundung Gregors" die Rede, "an der er über einen Monat litt", denn "der Apfel blieb, da ihn niemand zu entfernen wagte, als sichtbares Andenken im Fleische sitzen". Und dort, wo er eingedrungen ist, im Rückenpanzer des ungeheuren Ungeziefers namens Gregor, bleibt er bis zu dessen Tod stecken.

Der Apfel, das Symbol schlechthin für Gesundheit und lebensförderliche Nahrung, verwandelt sich hier also in ein lebensgefährliches Wurfgeschoß. Im Reich der Poesie und der Kunst kann ein Apfel durchaus Ecken und Kanten haben. Oder eine Birne.

 

Nach diesem Kafka-Exkurs nochmal von den Birnen zurück zum Berg. Oben, im 1. Stock, im Gang bei den Ölpastellen, auf der rechten Seite, stößt man dann ein drittes Mal auf den "Berg", diesmal im Kleinformat. Also, er könnte es jedenfalls immer noch sein, der Große Berg, der Birnberg. Wieder aus einer etwas anderen Perspektive. Sogar eine der Wolken hängt noch tief im Tal, kaum mehr sichtbar. Aus den abstrakten Birnen aber sind zwei gelbe Vögel im Vordergrund, in der grünen Wiese, geworden, die dem toten braunen Bär im Hintergrund Widerstand leisten. Winzige gelbe Tupfer im Vordergrund wie im Hintergrund, das könnten noch mehr von der gleichen Art sein.

Wie gleich daneben, "Unterm Zopf", wo der gelbe Vogel auf einmal in Beziehung zu einer Frau tritt, die aber womöglich gar nicht Notiz von ihm nimmt. Wie hieß es nochmal in dem eingangs zitierten Text von Hans Platschek über Richard Vogl:

"Was die einzelnen Personen" - und sicher genauso: die einzelnen Berge oder Birnen oder Vögel - "auf der Leinwand tun und lassen, ist in eine eher komplizierte Fabel eingebunden, über die der Titel eine oftmals trügerische Auskunft gibt: es geht jedoch nicht um Plots oder Erzählstränge, eher als um Fabeln geht es ums Fabulieren."

Platschek warnt also davor, in Richard Vogls Bildern eins zu eins eine Geschichte, eine Interpretation oder einen Sinn zu suchen. Also zum Beispiel zu sagen: die gelben Früchte, die stehen für das pralle Leben. Das sollte man lieber bleiben lassen, der Versuchung sollte man besser widerstehen.

Oder, wie es auf der Internetseite der Münchner Otto-Galerie über Richard Vogl heißt: "Trotz aller erkennbarer Gegenständlichkeit geht es ihm nicht um Abbildung von Wirklichkeit, sondern um die Farbe und ihre Ordnung auf Leinwand und Papier."

Die Luft ist teilweise ganz schön dünn in dieser radikalen Reduziertheit, man muss sich als Betrachter erst an diese Flughöhe gewöhnen. Aber dann möchte man gar nicht mehr runter.

Liebe Frau Lerche! Die Galerie im Woferlhof ist ein Leuchtturm der Kunst, der bis nach Hamburg und Berlin hinaufstrahlt, bis nach München sowieso, und hier im Bayerischen Wald würde man ohne Ihre Galerie ganz im Dunkeln herumtappen. Aber ein Leuchtturm leuchtet nur, wenn sich eine Leuchtturmwärterin wie Sie jeden Tag um ihn kümmert. Vielen Dank, daß Sie das Licht nicht ausgehen lassen, sondern unbeirrt ins Dunkel hineinleuchten!



[1]

Hans Platschek: Richard Vogl, in: Richard Vogl. Bilder 1988-1990, Ausstellungskatalog Otto-Galerie, München 1990, o.S.; zit. nach: Hans Platschek, Höllenstürze, Hahnenkämpfe, Nette Abende, S.207

[2]

Man kann nur warnen vor Künstlern, die lange Reden über ihre eigene Kunst halten oder gar Aufsätze darüber schreiben. Schlimm genug, wenn Kunst sich nicht aus sich selbst erklärt, wenn sie einer gewissen Erläuterung bedarf. Aber wenn die Erläuterung vom Künstler selber kommt, ist Skepsis angebracht.

[3]

Hans Platschek in einer Sendung des NDR am 28.1.2999, zit. nach: Hans Platschek, Höllenstürze, Hahnenkämpfe, Nette Abende, S.187

[4]

Ich weiß gar nicht, wo das bei Achternbusch steht. Ich kenne es nur als Motto des Büchleins "Anna und das Anderle" (1995) von Ingrid Strobl (1952-2024), in dem die gebürtige Tirolerin ihr Verhältnis zu der antisemitischen Wallfahrt zum "Anderl vom Rinn" oberhalb von Innsbruck beschreibt.

[5]

Ich habe gestern mit Andacht und Wehmut die letzte Birne von unserem Spalierbaum gegessen. Die letzte ist immer die beste, sie zergeht einem auf der Zunge.

[6]

Franz Kafka, Die Verwandlung, Leipzig 1915 (Faksimile der Erstausgabe), S. 48f. Weitere Erwähnungen der Verwundung auf S.53 oben und auf S.67

Presse

Einblicke in die Ausstellung Richard Vogl